Salzburger Ärzteführer 2023
27 Chronifizierung führen können, eine Gesprächsführung, die den Raum für die persönliche Geschichte des Schmerzes der Betroffenen eröffnet, Zeit, die Fähigkeit, zuzuhören, zu be- obachten und zwischen den Zeilen zu lesen. Selbstverständlich müssen zuallererst Krankheitshypothesen abgeklärt sein, eine Diagnose gestellt und eine kor- rekte Behandlung angeboten werden. Doch was ist los, wenn das alles nicht genug ist, der Schmerz wiederkommt, bestehen bleibt? Im Kardinal Schwarzenberg Klinikum in Schwarzach haben wir eine Sprechstunde für chronisch schmerz- kranke Patientinnen eingerichtet, in der wir gemeinsam in einem 60 bis 90 Minuten dauernden Erstgespräch Therapievorschläge entwickeln, die der Patientin einen individuellen, gang- baren Weg in Richtung Besserung weisen. Dazu erarbeiten interdiszipli- när drei spezialisierte Fachärztinnen (aus Anästhesie und Intensivmedizin, Psychosomatik und Psychothera- pie sowie Neurologie) spezifische Behandlungsmöglichkeiten, geben Erklärungen zur Schmerzchronifizie- rung und versuchen Belastungsfak- toren im Leben der Patientinnen zu identifizieren, damit diese Beratung im Sinne des bio-psycho-sozialen Krankheitsverständnisses angeboten werden kann. Die Empfindung „Schmerz“ ist in ein riesiges Verarbeitungsnetzwerk im Nervensystem, der sogenannten Schmerzmatrix, eingebettet. Durch die Verschaltungen in diesem komplexen System bestehen enge Verbindungen zwischen Schmerz und Gefühlen, alten seelischen Verletzungen, die fast vergessen scheinen, Schmerz und sozialer Ausgrenzung, Arbeitsplatz- konflikten, existenziellen Belastungen sowie zu einem mangelnden Gefühl des Angenommen- und Geschützt- seins. Der Mensch kann mit vielen ungünstigen Bedingungen lange zurechtkommen, jahre- und jahrzehn- telange Belastung – Dauerstress – kann aber Auslöser einer chronischen Schmerzerkrankung sein. Wir unterhalten eine enge Kooperation mit Psychologinnen, den Abteilungen für Physikalische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie, Neurologie, Or- thopädie/Unfallchirurgie und Radiolo- gie. Wir bieten die meisten gängigen Therapien an und kooperieren mit anderen Schmerzeinrichtungen, um deren erweitertes Angebot für unsere Patientinnen verfügbar zu machen. Unsere besondere Note ist, dass wir im Sinne einer Interdisziplinarität (mehrere Wissensgebiete) gemein- sam mit den Patientinnen überlegen, besprechen, sie untersuchen, sodass kein Therapieplan verordnet, sondern erarbeitet wird. Es wird ausgelotet, was zu dieser Patientin passt, welcher Weg für sie gangbar ist und wo wir noch zuwarten. So wird größtmögliche Autonomie der Patientinnen bewahrt und ein Konsens geschaffen, der Chancen bietet, aus dem Teufelskreis der Chronifizierung auszusteigen. Wir brauchen die aktive Mitarbeit unserer Patientinnen, die in oft nur kleinen Schritten erkennen, dass es einen Ausweg aus der Hilflosigkeit und Ohn- macht einer Schmerzerkrankung gibt. Um diese Haltung und das Wissen weiterzugeben sowie die nächs- te Generation an Ärztinnen an das spannende Gebiet der Schmerz- therapie heranzuführen, war das Kardinal Schwarzenberg Klinikum 2022 Gastgeber für das 1. Schwarz- acher Basiscurriculum für Spezielle Schmerzmedizin. In Kooperation mit dem Salzburger Schmerzinstitut (Lei- ter Univ.-Prof. Dr. Günther Bernatzky) wurde in 120 Unterrichtseinheiten, unter Mitwirkung von 50 in- und aus- ländischen Referentinnen, ein solides Grundwissen mit großer Freude an 30 Kolleginnen vermittelt. Gastautorin Dr. Martina Wittels Leitung interdisziplinäre Schmerz- Sprechstunde Kardinal Schwarzenberg Klinikum in Schwarzach BILD: KSK/SCHIEL
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